Home | Alle Themen | Buchbesprechungen | Dropout in der Beruflichen Rehabilitation. Analyse und Identifikation von Risikofaktoren in der Berufsausbildung Dropout in der Beruflichen Rehabilitation. Analyse und Identifikation von Risikofaktoren in der Berufsausbildung Kranert, Hans-Walter; Stein, Roland & Warmuth, Miriam (2022).In der Reihe „Teilhabe an Beruf und Arbeit“, die sich in interdisziplinären Forschungsbeiträgen dem Thema Benachteiligungen und Behinderungen im Zusammenhang von Beruflicher Bildung und Erwerbsarbeit widmet, ist die vorliegende Studie erschienen. Da „differenzierte qualitative Analysen der Ursachen für einen problematischen Dropout“ (S.15) fehlen, stellen sich die Autorin und die Autoren der Aufgabe, diese Forschungslücke zu schließen. Neben der Aufbereitung der diesbezüglichen theoretischen Erkenntnisse wird eine qualitative Untersuchung des Dropout-Phänomens im Berufsbildungswerk Würzburg durchgeführt, um schließlich rehabilitationspädagogische Handlungsempfehlungen zur Prävention und Intervention zu formulieren. Einleitend wird das System der beruflichen Rehabilitation in Deutschland dargestellt. In dieses werden die Berufsbildungswerke als Rehabilitationseinrichtungen zur beruflichen Ersteingliederung eingeordnet. Die grundlegenden Strukturen und Angebote werden dabei ebenso benannt wie die „Frage nach der Realitätsnähe der Ausbildung im Berufsbildungswerk“ (S.29). Als wichtiger Hinweis im Zusammenhang der Forschungsfrage erscheint der auf die „deutliche Verschiebung im Hinblick auf das Phänomen psychische Behinderung, welches inzwischen die bedeutsamste Behinderungsform innerhalb der Berufsbildungswerke darstellt“ (S.27f.) zu sein. Im folgenden Kapitel wird das Thema „Dropout in der dualen Berufsausbildung“ bearbeitet. Anhand einer umfassenden Literaturrecherche werden quantitative wie qualitative Dimensionen des Phänomens aufgezeigt. Dabei gehen die Autorin und die Autoren auf „Faktoren für eine gelingende Berufsausbildung“ ein (S.43ff.). Im Hinblick auf mögliche abbruchpräventive Handlungsperspektiven wird konstatiert: „Es zeigt sich somit, dass prinzipiell ein komplexes Portfolio von Präventions- und Interventionsbedingungen im Kontext von Dropout verfügbar ist, welches jedoch im Wesentlichen über eine entsprechende Sensibilisierung aller Beteiligten in den Alltag der Berufsausbildung zu implementieren wäre“ (S.62). Der nächste Abschnitt zur Vorbereitung der eigentlichen Studie lautet: „Dropout in der beruflichen Rehabilitation“ (S.63ff.). Das Forschungsdesiderat in diesem Feld wird an der Aussage deutlich, dass sich bisherige Studien überwiegend auf junge Menschen mit Lernbehinderungen beziehen, „welche mittlerweilenicht mehr die bedeutsamste Gruppe der Rehabilitand:innen in Berufsbildungswerken darstellen“ (S.65). Die einschlägigen Forschungsbefunde werden unter den Aspekten Dropoutquote, -gründe, berufsbiografische Aspekte nach dem Dropout, Identifikation von Abbruchgefährdungen sowie Interventions- und Präventionsstrategien zusammengefasst, um darauf aufbauend Handlungs- und Forschungsbedarfe zu skizzieren. „Die bisher überwiegend zugrunde gelegte Kategorisierung des Abbruchgeschehens im Bereich der beruflichen Rehabilitation zeigt eine starke Zentrierung auf die Rehabilitand:innen“ (S.73). Hier deutet sich bereits an, dass die Autorin und die Autoren die damit gegebene Verengung des Blicks im eigenen Forschungsdesign nicht akzeptieren wollen. Zudem stellen sie fest: „In diesem Zusammenhang erstaunt es ebenso, dass die Betroffenen selbst bei der Identifizierung potenzieller Abbruchgefährdungen nicht von Beginn an miteinbezogen und gegebenenfalls selbst befragt werden“ (S.73f.). Hier wird auf einen wichtigen Widerspruch hingewiesen, der darin besteht, dass das Abbruchgeschehen einerseits personalisiert wird, zum anderen aber die damit zentral im Fokus Stehenden, die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden als Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner bzw. als Auskunft Gebende nicht gefragt sind. Im dem zugrundeliegenden Forschungsdesign wird auf der Basis der beschriebenen Vorarbeiten ein „theoretisches Modell potenzieller Prädiktoren entwickelt und zugrundegelegt“ (S. 81), das den Blick im Abbruchgeschehen nicht einseitig auf die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden legt, sondern sowohl Leistungserbringende, Leistungsempfangende als auch die Leistungsträger umfasst. Mit der Studie werden besonders drei Ziele verfolgt: Beschreibung des Phänomens, Erkennen des Phänomens, Pädagogisches Handeln im Kontext des Phänomens: „Generierung von Handlungsempfehlungen für die Organisations-und Konzeptentwicklung von Berufsbildungswerken aus der Synopse vorliegender Forschungsbefunde und eigener Datenanalysen“ (S. 83). In Zusammenarbeit mit dem Berufsbildungswerk Würzburg konnte das Forschungsvorhaben im Zeitraum über vier Jahre umgesetzt werden. Die „Forschungsmethodik im Detail“ wird im Anhang umfassend und transparent dargestellt (S.171-220). Die „Forschungsergebnisse“ (S. 97-143) werden in drei Unterkapiteln vorgestellt: Analyse des Dropoutgeschehens, Identifikation des individuellen Dropoutrisikos und Maßnahmen bei identifiziertem Dropoutrisiko. Dem eigenen Forschungsansatz folgend werden dabei sowohl die Perspektiven der Leistungserbringenden, der Leistungsempfangenden als auch der Leistungsträger in den Fokus genommen. In der Diskussion der Ergebnisse (S.145-157) wird kritisch darauf verwiesen, dass die standardmäßige und systematische Erfassung der Abbrüche, die zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Berufsbildungswerken vereinbart ist, zur Lösung der angesprochenen Problematik nur wenig beiträgt: „Die Kategorien, mit denen hier operiert wird, sind einerseits der Einrichtung im Sinne einer einheitlichen Dokumentation vorgegeben, andererseits eröffnen diese kaum einen vertiefenden, analytischen Blick auf das Dropoutgeschehen; eine systematische Weiterentwicklung der Einrichtung […] zur Prävention bzw. zur Intervention eines Dropoutgeschehens wird hierdurch eher erschwert“ (S.146). Der damit implizit formulierte Anspruch beinhaltet, abbruchpräventive und -intervenierende Maßnahmen zu implementieren und damit sowohl rehabiltiationspädagogisch verantwortungsvoll zu handeln als auch volkswirtschaftlich effizient zu agieren. Das Phänomen ist in seiner Komplexität anzuerkennen und angemessene Prädiktoren sind zu entwickeln. „Gemäß dem zugrunde gelegten sozialrechtlichen Dreieck können bei allen drei Beteiligten Faktoren identifiziert werden, die mit einem Dropoutrisiko in Verbindung stehen“ (S.153). Die „Handlungsempfehlungen“ (S.159-167) adressieren – dem Grundverständnis der Forschenden folgend – die Ebenen des Leistungserbringers, der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sowie der Leistungsträger. Auf der Ebene des Leistungserbringenden wird empfohlen, ein „einrichtungsbezogenes Dropoutkonzept“ zu entwickeln, in das Aspekte der Konzeptentwicklung, der Organisations- wie der Mitarbeitendenentwicklung einbezogen sein sollten. Im Hinblick auf die zugrundeliegenden Prozesse wird geraten, das Thema in Teambesprechungen standardmäßig zu behandeln und besonderes Augenmerk auf diesogenannten sensiblen Ausbildungsphasen zu legen. Auf der Ebene des Leistungsträgers werden trotz der anerkannten Einschränkungen durch die sozialrechtlichen Vorgaben Verbesserungsmöglichkeiten gesehen: auf der Ebene der Beratung, der Offenheit gegenüber den Entwicklungswegen der Auszubildenden sowie auch der möglichen Variabilität hinsichtlich der zeitlichen Gestaltung der Berufsvorbereitung und der Ausbildungen. Auch für die Ebene der Leistungsempfangenden werden Empfehlungen formuliert, die sich vor allem auf die Frage der begleiteten Reflexion der eigenen Ansprüche und Perspektiven richten. Dies erscheint umso notwendiger, da Rehabilitandinnen und Rehabilitanden häufig über ein „negativ gefärbtes Selbstkonzept“ verfügen, das der eigenen Weiterentwicklung im Wege steht (S.165). Der Autorin und den Autoren sowie dem Berufsbildungswerk Würzburg ist großer Dank auszusprechen für die sehr gründliche Aufbereitung der bisherigen Forschungsarbeiten und den umfassenden Ansatz zur Analyse des Dropoutgeschehens. Vor dem Hintergrund einer modernen rehabilitationspädagogischenHerangehensweise verdient es besondere Erwähnung, dass die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden als Interviewpartnerinnen und -partner ernst genommen werden: es wird nicht nur über sie, sondern mit ihnen gesprochen. Dem BBW Würzburg ist für die Offenheit zu danken, sich mit den „dunklen und wenig geliebten Seiten“ des Rehabilitationsprozesses – mit Hilfe der wissenschaftlichen Begleitung – auseinanderzusetzen. Dem Buch ist eine breite Leserschaft zu wünschen – vor allem bei den an der Studie in den Blick genommenen Stakeholdern –, um die Anregungen zur Weiterentwicklung rehabiltitationspädagogischer Angebote zu nutzen. Manfred Weiser