Home | Alle Themen | Buchbesprechungen | Geboren im falschen Körper: Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen Geboren im falschen Körper: Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen Ahrbeck, B. & Felder, M. (Hrsg.) (2022).I was an unhappy girl who needed help. Instead, I was treated like an experiment.” Die 23-jährige Detransitionerin Keira Bell hatte sich als Jugendliche für eine Transition entschieden und diese Entscheidung später bereut. Als sie den Fall vor Gericht brachte, sprach sich der High Court des Vereinigten Königreichs für sie aus. Infolgedessen wurde in Großbritannien die Gabe von Pubertätsblockern an Minderjährige verboten. Fragen nach der Geschlechtsidentität und -biologizität werden im öffentlichen Diskurs heiß diskutiert. Antworten darauf verlaufen meist synchron mit der zunehmenden politischen Polarisierung unserer Gesellschaft: in divergierende Richtungen. Einen Höhepunkt erreicht die emotionalisierte Debatte nun bei der Kontroverse um Kinder und Jugendliche, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Neue Fragen beschäftigen Wissenschaft, Staat, Eltern und vor allem die Betroffenen selbst. Den Versuch einer Darstellung des aktuellen Forschungsstands und möglicher Perspektiven auf eine neue Praxis bildet der 2022 erschienene Herausgeberband „Geboren im falschen Körper: Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen“. Das Buch vereinigt Beiträge verschiedener Expertinnen und Experten aus Psychologie, Medizin, Pädagogik, Philosophie, Geschichte und Psychotherapie. Der Band stellt den Anspruch, die aktuellen Forschungen wiederzugeben und verschiedene Positionen einer eingehenden Reflexion und Kritik zu unterziehen. Somit soll ein umfassender Überblick zur Thematik gegeben werden. „Geboren im falschen Körper“ verläuft an der Richtlinie, dass sich nicht die lauteste Stimme im Diskurs mit der Wahrheitshoheit profilieren darf, sondern geeignete praktische Strategien nur durch die Zusammenarbeit verschiedenster Instanzen generiert werden können: Durch die Form des Buchs wird es der Leserin und dem Leser ermöglicht, unterschiedliche Gebietsperspektiven einzunehmen. Die Autorinnen und Autoren des Bands betrachten den Zuwachs an als Trans identifizierten Kindern und Jugendlichen kritisch und führen dies auch auf die zunehmende Präsenz von positiven transidenten Werdegängen im Internet zurück. Das Buch bewegt sich in dem Konflikt zwischen den als Trans identifizierten Kindern und Jugendlichen, die persistent sind und einer schnellstmöglichen Behandlung durch z.B. Pubertätsblocker, Hormone etc. bedürfen und jenen Desisterinnen und Desistern, bei denen die Transidentifikation Ausdruck verschiedenster Entwicklungen (wie z.B. Unterdrückung einer homosexuellen Orientierung) ist. Die Geschlechtsdysphorie desistenter Personen läuft sich nach Ende der Pubertät aus und sie reidentifizieren sich mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht. Die Desisterinnen und Desister nehmen laut angeführter Studien einen wesentlich höheren Prozentsatz als die Persisterinnen und Persister ein, weshalb sich viele der Autorinnen und Autoren für die Psychotherapie nicht als begleitende Affirmation der Geschlechtsidentität, sondern als Therapie mit ergebnisoffenem, analytischem Anspruch aussprechen.Dem Buch gelingt der Drahtseilakt zwischen der individuellen, subjektiv empfundenen Identität und der wissenschaftlichen Metaebene durch Wortmeldungen ausgewiesener Fachleute sowie des Erlebnisberichts von Betroffenen. Die Verwendung der Sprache kann an mancher Stelle jedoch nicht mit der Nuanciertheit der Argumentation mithalten und verliert sich in Begriffen wie „Gender-Ideologie“ und „transaktivistische[r] Cancel Culture“. Teils werden z.B. transidente Jungen als „Mädchen“ klassifiziert. Die Geschlechtsdysphorie bewegt sich aufgrund ihrer Variabilität in einer fragilen Balance, was eine sprachliche Fixierung erschwert. Dennoch sollte nicht die Biologie, sondern die Identität im direkten Umgang ausschlaggebend sein. Im Großen und Ganzen versucht das Buch, über Geschlechtsdysphorie mit einem polyperspektivistischen Blickwinkel aufzuklären. Dabei wird auch auf die dürftige Studienlage diesbezüglich verwiesen. Denn Fälle wie jenen der Detransitionerin Keira Bell gehören nicht im öffentlichen Diskurs polemisiert, sondern in evidente Untersuchungen eingebettet. Cara Platte