Home | Alle Themen | Buchbesprechungen | Positive Lernhaltungen aufbauen – Wie Schülerinnen und Schüler lernen, (wieder) gern zu lernen. Positive Lernhaltungen aufbauen – Wie Schülerinnen und Schüler lernen, (wieder) gern zu lernen. Lauer, Visnja & Lauer, Andreas (2018).Die Hauptquelle für den Stress von Lehrkräften ist nach wie vor störendes Verhalten von Schülerinnen und Schülern – und zwar in allen Schulformen von der Förderschule über inklusive oder nicht inklusive Schulen bis hin zu Gymnasien. Bedarf die reichlich vorhandene Fachliteratur noch einer Ergänzung? Einen ungewöhnlichen Ansatz beschreiben die Autoren des Buchs „Positive Lernhaltungen auf bauen – Wie Schülerinnen und Schüler lernen, (wieder) gern zu lernen“. Das Buch versteht sich als Arbeitsbuch für die Praxis aller Schulformen von der 5. bis zur 13. Klasse. Es dokumentiert die konkrete Umsetzung und Weiterentwicklung eines Wegs, der auf dem IntraActPlus-Konzept von Fritz Jansen und Uta Streit fußt, das deutschlandweit in therapeutischen Zusammenhängen und in vielen Schulen Anwendung findet. Entstanden ist es in der Zusammenarbeit der Autorin mit ihrem Sohn, der seine Erfahrungen als beginnende Lehrkraft in dieses Buch eingebracht hat.Als Ausgangspunkt werden Praxisbeispiele aufgegriffen. So werden Vermeidungsstrategien von Schülerinnen und Schülern aufgeführt, interpretiert und das entsprechende Handlungskonzept zur Veränderung entwickelt. Schwierigkeiten und Fragen bei der Umsetzung werden diskutiert. Wie es gelingen kann, den Fokus zu halten auf die Prozesse, die beim Lernen optimalerweise ablaufen und dem Ergebnisdruck standzuhalten, der gerade im inklusiven Kontext vielen Lehrkräften zu schaffen macht, wird im Buch beispielhaft beschrieben. Im ersten Kapitel mit dem Titel Schülerverantwortung verweisen Lauer und Lauer auf den Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule. Unterricht, der sich auf diesen Auftrag bezieht, zielt deshalb auf den systematischen und strategischen Aufbau von lernförderlichen Haltungen. Dies setzt voraus, dass die Lernenden selbst Verantwortung übernehmen. Die Lehrkraft versteht sich dabei als Trainer in einem Veränderungsprozess, der mit drei unumstößlichen Regeln beginnt: – Ich sitze sportlich.– Ich lasse meine Nachbarin/meinen Nachbarn in Ruhe arbeiten.– Ich trainiere, diese Regeln einzuhalten. Dafür gebe ich mein Bestes. Meine Lehrperson ist meine Trainerin/mein Trainer. Wer bereits bei der ersten Regel mit Unbehagen an veraltete Pädagogik denkt, kann in Kapitel 4 über die neurobiologischen Zusammenhänge nachlesen, auf die die Regel gründet.Im zweiten Kapitel Ersatzbank und Tribüne – vom Widerstand zur Kooperation werden das Bild aus dem Sport fortgeführt und die Intervention bei Störungen erläutert. Zunächst wird jemand, der im Unterricht stört, auf die „Ersatzbank“ im hinteren Teil der Klasse verwiesen. Von dort kann er oder sie weiter am Unterricht teilnehmen, muss es aber nicht. Ausdrücklich ist die Ersatzbank keine Strafe, sondern eine Art Auszeit, unabhängig davon, aus welchem Grund die Lernleistung gerade nicht erbracht wird oder werden kann. Wird aus der Position der Ersatzbank heraus noch weiter gestört, erfolgt der Verweis auf die „Tribüne“, da in diesem Fall in der Regel bewusst gemeinschaftsschädigend agiert wird. Der Verweis auf die Tribüne bedeutet häusliche Arbeit in nicht geringem Umfang und ist somit eine unangenehme Konsequenz. Das Vorgehen erinnert an das Modell des Trainingsraums, wie es von Bründel und Simon beschrieben wurde, kommt allerdings hier mit viel weniger Aufwand und sehr bewusst ohne den leisesten moralischen Zeigefinger aus.Im dritten Kapitel Vom Vorwurf zum Auftrag wird auf die Umsetzung der Intervention „Auftrag“ detailliert eingegangen, wobei der veränderte Blickwinkel einer unbedingt wohlwollenden Haltung hier den Unterschied macht. Im vierten und fünften Kapitel werden die Zusammenhänge zwischen Aktivierung und Lernleistung sowie Aufmerksamkeit und Orientierung anschaulich erläutert. Auch hier wird, ausgehend von gesicherten Erkenntnissen, der Weg zur Vermittlung und Einübung günstiger Strategien beschrieben. Als Beispiel sei hier die Wirkung des vielseits gelobten und dennoch nicht allzu häufig angewendeten punktgenauen positiven Feedbacks für Verhaltensweisen – versus Lernergebnissen – genannt.Im Kapitel 6 Training und Leichtigkeit wird dazu ermutigt, aufkommende Dissonanzen zwischen der Erwartungshaltung der Lehrkraft und dem Trainingsstand der Lernenden auszuhalten. Wenn Lernen und Anstrengung in der täglichen Praxis mit guten Erfahrungen und positiven Emotionen verknüpft ist, stellen sich langfristige Wirkungen – nicht zuletzt als gute Lernergebnisse – ein. Ist man sich dessen bewusst, wird jeder Fortschritt zur Burnout-Prophylaxe. Das 7. Kapitel Motivation und Konzept nimmt noch einmal mehr die Lernenden in den Blick, zu deren „biologischer Ausstattung“ es gehört, unter guten Bedingungen Motivation aufzubauen und Selbstregulation zu lernen.Was ist ungewöhnlich an diesem Konzept? Die beiden zentralen Aspekte, zum einen die Beachtung der neurobiologischen Zusammenhänge bei der kognitiven Verarbeitung in Lernprozessen und zum anderen die Bedeutung eines guten Lernklimas, bilden keine neuen Erkenntnisse. Der Wert des Buchs liegt meines Erachtens in der Konsequenz, mit der die Autoren daran arbeiten, diese beiden Grundpfeiler in der täglichen Praxis miteinander in Einklang zu bringen und für den Leser nutzbar zu machen. Dabei wird bei der Analyse der zahlreichen geschilderten Unterrichtssituationen die jahrelange Erfahrung der Autorin als Supervisorin im therapeutischen und pädagogischen Umfeld deutlich. Das Buch füllt eine Lücke: Fühlen sich doch viele Lehrkräfte, die mit hohen Erwartungen an sich selbst und ihre Arbeit gestartet sind, durch die täglichen Herausforderungen ernüchtert und nicht selten ausgelaugt. Es zeigt beispielhaft einen gut begründeten und gangbaren Weg auf und regt an, die eigene Unterrichtspraxis zu überdenken. Der Lohn ist die bereichernde Erfahrung der Selbstwirksamkeit, wenn der Blick auf die Lernenden selbst und deren langfristig veränderte Lernhaltung gerichtet ist. Das Konzept enthält dazu ein entsprechendes Handlungsrepertoire, das ausführlich und verständlich mit Faktenwissen aus der Psychologie und Neurobiologie begründet wird. Insofern ist das Konzept für sonderpädagogische und andere Lehrkräfte gleichermaßen interessant. Die Autorin dieser Rezension hat die Anregung zur Hospitation angenommen und den „Unterschied“ wahrgenommen: Entspannte Lernende, freundliche und sichere Lehrkraft. Eine Freude!Andrea Ridder