Sport, Spiel und Bewegung für Menschen mit mehrfachen Behinderungen

Mihajlovik, C. & Schoo, M. (2021)

Michael Schoo und Christopher Mihajlovic veröffentlichen mit „Sport, Spiel und Bewegung – für Menschen mit mehrfachen Behinderungen“ im Verlag „selbstbestimmtes Leben“ eine theoriefundierte und gleichzeitig praxisnahe Darstellung für Sportunterricht in Schulen und nachschulische Sport- und Bewegungsangebote für Menschen mit mehrfachen Behinderungen. Sorgfältig bearbeiten die beiden Autoren im ersten Abschnitt eine genaue Begriffsklärung des angesprochenen Personenkreises. Da der
Begriff „Mehrfachbehinderung“ in der Literatur unterschiedlich definiert wird, sind die beispielhaft aufgeführten sechs Schülerinnen- und Schüler-Beschreibungen sehr hilfreich. Die Praktikerinnen und Praktiker vor Ort im Schulsport, in Vereinen und Sportorganisationen werden hier gute Bezüge zu ihrer Klientel aus den Förderschwerpunkten Körperliche und motorische Entwicklung, Geistige Entwicklung und Förderschwerpunkt Sehen herstellen können. Die Bedeutung der Bewegungsförderung für Menschen mit Körper- und Sehbehinderung wird umfassend dargestellt. Großer Wert wird auf die gute Vorbereitung des Übergangs aus der Schule in nachschulische Möglichkeiten der Sport- und Bewegungsförderung gelegt. Dies ist ein oft unterschätztes Problem: Die meist gute Förderung in der Schule endet oft abrupt mit der Schulentlassung. Dies kann verhindert werden, wenn schon vor Ende der Schulzeit über Kooperationen mit Sportvereinen eine Basis für eine weitere, gelingende Teilhabe im Bereich Bewegung und Sport für Menschen mit mehrfacher Behinderung gelegt wurde.

Sehr hilfreich sind die fachspezifischen Anmerkungen von Mihajlovic zu geeigneten Sportarten für Menschen mit Sehbehinderung und die Hinweise zur oft nicht ausreichenden Diagnostik im Bereich Sehen bei vielen Menschen mit mehrfacher Behinderung, insbesondere im Bereich cerebral bedingter Sehstörungen („cerebral visual impairment“). Interessant ist die Darstellung der wenigen Studien zum Selbsterleben von Menschen mit mehrfachen Behinderungen im inklusiven Schul- und Vereinssport, in denen diese besonders die mangelnde sonderpädagogische Expertise von Lehrkräften an Allgemeinen Schulen und Übungsleitern in Sportgruppen als Belastungsfaktor nennen. Sehr praxisnah beschreiben beide Autoren in der Folge wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Organisation von Bewegungs- und Sporteinheiten und stellen Bezüge zu bestehenden methodisch-didaktischen Ansätzen zur Bewegungsförderung für mehrfachbehinderte Menschen her.

In einem Exkurs werden ausgewählte Modelle für einen inklusiven Sportunterricht dargestellt. Bestehende Angebote des bvkm, der special olympics und des deutschen Rollstuhlsportverbandes werden mit ausführlichen Internetverweisen auf weiterführende Literatur beschrieben. Der umfangreiche, gut bebilderte Praxisteil gibt in den fünf Unterkapiteln Grundbewegungsarten, Spielformen, Angebote aus der Leichtathletik, Bewegen und Spielen im Wasser und Kämpfen und Kräfte messen einen breiten Überblick lang bewährter und neu entstandener Übungs- und Spielformen, die sowohl den Bereich der basalen Bewegungsförderung, als auch die Umsetzung relativ komplexer Sportspiele umfasst. Neuere Sportspiele wie „Wheel-soccer“, „Polybat“ oder „SNAG-Golf“ werden mit Regelwerk und guter Bebilderung dargestellt. Sprengt das jeweilige Regelwerk den Rahmen der Veröffentlichung, werden weiterführende Literaturhinweise und Hinweise auf entsprechende Internetquellen zur Verfügung gestellt.

Im letzten Kapitel wird noch einmal der Anspruch der Autoren auf das lebenslange Teilhaberecht von Menschen mit mehrfacher Behinderung am Bereich Bewegungsförderung und Sport deutlich. Neben zwei Schulen wird das Bewegungsförderungsangebot einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), eines inklusiven Sportvereins und eines inklusiven Golfprojektes dargestellt. Die Beschreibung des Kooperationsprojekts „Mit Handicap zum Schwung“ aus Oberursel zeigt exemplarisch und mit vielen praktischen Anregungen den Entwicklungsweg eines inklusiven Sportprojektes auf und macht so Lust auf Ausprobieren neuer Wege. Ein gelungenes Buch mit hoher Praxisrelevanz sowohl für den Bereich des Sports und der Bewegungsförderung an Förderschulen, den inklusiven Sportunterricht an Allgemeinen Schulen und die Arbeit in inklusiven Sportgruppen von Sportvereinen und anderen Sportorganisationen. Auch im Bereich der Fortbildung und der universitären Ausbildung wünscht man diesem Werk einen breiten Einsatz.

Helmut Kirsch