Unterrichtbei komplexer Behinderung.

Sonderpädagogischer Schwerpunkt Geistige Entwicklung.

Schäfer, Holger; Loscher, Thomas & Mohr, Lars (Hrsg.) (2024).

Der vorliegende Sammelband zur Gestaltung von Unterricht bei komplexer Behinderung mit dem Fokus auf dem sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Entwicklung bietet eine Zusammenstellung von allgemeinen Ausführungen und Hinweisen, aber auch Praxisanregungen für verschiedene Unterrichtsfächer. Das erscheint wesentlich, „denn die Lehrkräfte müssen zum einen die altersuntypischen Aneignungs-, Interaktions- und Regulationsmöglichkeiten der Lernenden berücksichtigen und sollen sich zum andern an den üblichen kulturellen (Schulfach-)Inhalten orientieren“ (Klappentext). Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, werden Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis und ihre fachlichen Expertisen in den zusammengetragenen Fachbeiträgen einbezogen.

Kap.1: Komplexe Behinderung: Einführung und Grundlagen

Lars Mohr und André Schindler führen in die zur Anwendung kommende, zentrale Begrifflichkeit „komplexe Behinderung“ ein (Kap.1.1), um darauf aufbauend den Versuch zu unternehmen, die zentralen Merkmale, die dem Begriff zugeschrieben werden, zu erörtern (Kap.1.2). Die Entwicklung von Lernenden mit komplexer Behinderung wird mit Hilfe der Aspekte Lernformen, Emotionen und Kommunikation skizziert (Kap.1.3), um abschließend den Schulbesuch im Kontext komplexer Behinderung schlaglichtartig zu beleuchten (Kap.1.4).

Kap.2: Die Entwicklung von Pädagogik und Unterricht bei komplexer Behinderung: von Förderkonzepten zu Bildungskonzeptionen

Die Weiterführung des ersten Kapitels bezogen auf Unterricht nehmen André Schindler und Lars Mohr im zweiten Kapitel vor. Zunächst erläutern sie die Bildungsidee in früh entstandenen Förderkonzepten (Kap. 2.1), wie entwicklungsbezogene Förderung und Integriertes Lernen, Basale Stimulation und sensumotorische Kooperation. Als Konsequenz darauf widmen sich Schindler und Mohr dem expliziten Diskurs des Bildungsbegriffs bei komplexer Behinderung (Kap.2.2).

Kap.3: Bildungssituationen für Lernende mit komplexer Behinderung gestalten

Ausführungen zur konkreten Gestaltung von Bildungssituationen formuliert Thomas Loscher, indem zunächst allgemeine und kategoriale Bildung beschrieben (Kap.3.1) und anschließend mit der Bildungsrealität von Lernenden mit komplexer Behinderung illustriert werden (Kap.3.2). Zur Veränderung der Situation werden von Loscher Grundgedanken zur Gestaltung von Bildungssituationen im Kontext komplexer Behinderung ausgearbeitet (Kap.3.3), u.a. zu Eigenaktivität und Interaktion, um die Elementarisierung als Mittel zur Planung von Bildungssituationen einzuführen (Kap.3.4).

Kap.4: Diagnostik, Beratung und Bildungsplanung bei komplexer Behinderung

Ein Überblick zu Diagnostik, Beratung und Bildungsplanung wird von Holger Schäfer im vierten Kapitel verfasst, dem eine Art Vorwort zur heilpädagogischen Haltung vorangestellt wird (Kap.4.1). Danach wird eine fachliche Einordnung bezogen auf Personenkreis und schulische Herausforderungen vorgenommen (Kap.4.2), gefolgt von praktischen Hinweisen (Kap.4.3). Die einzusetzenden Methoden, z.B. Gespräche, Verhaltensbeobachtungen, strukturierte Beobachtungs- und Entwicklungsbögen, werden beschrieben (Kap. 4.4). Weitere Ausführungen zu konkreten Verfahren (Kap.4.5) und zur Bildungsplanung folgen (Kap.4.6).

Kap.5: Kommunikation mit Menschen mit komplexer Behinderung

Die besondere Bedeutung von Kommunikation wird von Tobias Bernasconi im fünften Kapitel betont, indem begriffliche Annäherungen vorgenommen (Kap.5.1) und Kommunikation bei schwerer und mehrfacher Behinderung erörtert werden (Kap.5.2). Unterstützte Kommunikation (UK) wird als Maßnahme zur Kommunikationsförderung benannt und in ihrer grundlegenden Bedeutung skizziert (Kap.5.3). Möglichkeiten der UK zur Unterstützung im Kontext komplexer Behinderung stellt Bernasconi z.B. durch verschiedene Kommunikationshilfen oder Ich-Bücher vor (Kap.5.4). Abschließend wird die Rolle der Bezugspersonen erläutert (Kap.5.5).

Kap.6: Vitale Bedürfnisse

Das Erkennen und Versorgen von vitalen Grundbedürfnissen im schulischen Rahmen und der Unterrichtsgestaltung bilden den Fokus des sechsten Kapitels, dem Beitrag von Annette Damag. Damag beginnt zunächst mit einer Darstellung der Grundbedürfnisse (Kap.6.1), gefolgt von einem Blick auf Bewegung (und vor allem dem „Sich bewegen“) als Bedürfnis (Kap.6.2). Es folgen die Auseinandersetzungen mit Körperpflege und Bekleidung (Kap.6.3) sowie der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, den Bedürfnissen des „Essen-Trinken-Schlucken“ (Kap.6.4).

Kap.7: Basaler Literaturunterricht

Angela Heiden und Rebecca Diehl betrachten im siebten Kapitel Basalen Literaturunterricht anhand elementarer Konzepte aus dem Bildungsbereich Deutsch (Kap.7.1), Basalem Literaturunterricht anhand von Elementarisierung, sinnlicher Wahrnehmung, Unterstützter Kommunikation sowie aktivem Lernen (Kap. 7.2). Mit Hilfe einer exemplarischen Unterrichtseinheit zum Märchen „Jorinde und Joringel“ nehmen Heiden und Diehl eine strukturierte Darlegung des Einsatzes eines Märchens zur Anwendung im Basalen
Literaturunterricht zum Abschluss des Fachbeitrags vor (Kap.7.3).

Kap.8: Mathematik und komplexe Behinderung

Thomas Loscher und Holger Schäfer widmen sich im achten Kapitel der Aufbereitung des Unterrichtsfachs im Kontext komplexer Behinderung. Als Ausgangspunkt werden Inhalte mathematischer Bildung angeführt (Kap.8.1) und nachfolgend bezogen auf komplexe Behinderung konkretisiert (Kap.8.2). Eine basal-perzeptive Aufbereitung mathematischer Bildung als Möglichkeit zur aktiven Auseinandersetzung mit Mathematik wird ebenso erörtert (Kap.8.3) wie auch die Elementarisierung mathematischer Bildung (Kap. 8.4).

Kap.9: Ästhetische Bildung im Kontext komplexer Behinderung

Die Gestaltung ästhetischer Bildung für Lernende mit komplexer Behinderung steht im Fokus des neunten Kapitels von Nicole Wächter. Zunächst werden die curriculare Ausrichtung beschrieben (Kap.9.1) und ein bildungstheoretischer Zugang erörtert (Kap.9.2). Zur praktischen Umsetzung werden methodische Überlegungen skizziert (Kap.9.3) und Umsetzungsideen vorgestellt (Kap.9.4). Diese sind z.B. Arbeiten mit Naturmaterialien nach Jackson Pollock, Arbeiten mit Ton zur Herstellung von geometrischen Figuren
nach Kandinsky oder Arbeiten mit Ton zur Schmuckherstellung.

Kap.10: Musik und komplexe Behinderung

Zum Abschluss betrachtet Thomas Loscher Musik für Lernende mit komplexer Behinderung im zehnten Kapitel. Dazu wird zunächst musikalische Bildung allgemein benannt (Kap.10.1) und danach auf komplexe Behinderung bezogen (Kap.10.2). Möglichkeiten zur elementaren musikalischen Erfahrung werden beschrieben (Kap.10.3), z.B. durch Hören in Bewegung und Basales Musiktheater. Anschließend widmet sich Loscher dem elementaren Musizieren, u.a. durch Liedgestaltung mit Gesang, Improvisation, klang malender Begleitung und harmonischer Begleitung (Kap.10.4).

Fazit
Die Auseinandersetzung mit Unterrichtsgestaltung im Kontext komplexer Behinderung bezogen auf den sonderpädagogischen Schwerpunkt Geistige Behinderung ist – trotz der seit vielen Jahren stets aktiven Forderung zur verstärkten Berücksichtigung – weniger häufig zentrales Thema von Fachpublikationen. Die Verknüpfung theoretischer Erkenntnisse mit differenzierten Unterrichtsfachbezügen tragen zu vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Publikation bei. Dementsprechend ist der vorliegende Sammelband Lehrkräften und weiteren Fachkräften an Förderschulen wie im inklusiven Unterricht, ebenso Studierenden und allen Interessierten dringend zu empfehlen.

Karoline Klamp-Gretschel